Dr. Bernhard Huber-Stiftung
Bericht Dezember 2020
Ich sitze in Johannesburg fest. Nur eine Handvoll Reisende verlieren sich in den leeren Flughafenhallen, nur vereinzelt stehen Flieger auf dem
verwaisten Rollfeld. Unglaublich, wenn man bedenkt, welch geschäftiges Treiben zu normalen Zeiten hier herrscht. Über dem Johannesburger
International Airport, dem „Drehkreuz“ Afrikas, liegt eine fast schon gespenstische Stille. Gerade habe ich erfahren, dass mein Heimflug nach
Deutschland auf morgen verschoben wurde. Zuhause wird dann noch die obligatorische Quarantäne folgen, trotz mehrerer negativer Corona-
Schnelltests. Reisen in Corona-Zeiten!
Meine Gedanken gehen zurück. Diese Reise nach Weihnachten hatte ich ganz kurzfristig angetreten. Dabei kann ich von Glück reden, dass sie
angesichts der Pandemie überhaupt möglich war. Es war „nur“ eine Woche – gefühlt waren es mehrere, so vieles habe ich erlebt, so
ungewöhnliche Begegnungen gehabt.
Ich kam gerade zur rechten Zeit in Swaziland an, reichte doch mittlerweile das Beatmungsgerät der schwer lungenkranken Sakhile nicht mehr
aus, um sie adäquat mit Sauerstoff zu versorgen. Sie hatte schon sehr an Gewicht verloren, ihre Lungenerkrankung sich weiter verschlechtert.
Trotz Sauerstoffgerät hatte Sakhile ständig Atemnot, war schnell erschöpft und schlief fast den ganzen Tag. Sie benötigte ein stärkeres
Sauerstoffgerät und hatte bereits einen Hilfsaufruf auf Facebook gestartet. Das „Schicksal“ hatte mich einmal mehr zum richtigen Zeitpunkt an
den richtigen Ort geführt. Ein Glücksfall war es auch, dass gerade jetzt ein passendes, fast neuwertiges Gerät in Swaziland zum Kauf angeboten
wurde. Mit einer Sauerstoff¬leistung von 10 Liter/min. ist es doppelt so leistungsfähig wie ihr bisheriges Gerät, also kaufte ich es
kurzentschlossen. Als Sakhile die neue Nasensonde überzog, huschte ein Lächeln über ihr Gesicht, denn sie verspürte sofortige Erleichterung. Am
selben Tag hatte sie auch Geburtstag. So fügte es sich, dass ich sie sogar zu einem kleinen Geburtstagsessen ausführen konnte.
Tags darauf hatte ich in der Hauptstadt Mbabane einige Dinge zu erledigen, als ich auf einen bettelnden Jungen aufmerksam wurde. Ich sprach
ihn an – er hieß Sanele, war zwölf Jahre alt. Seine Mutter schickt ihn täglich zu Fuß in die Stadt, wo er Plastikflaschen einsammelt und an einen
Händler verkauft. Das bringt ihm täglich gerade mal 10-20 Emalengeni (ca. 50 -90 ct) ein. Die Familie lebt einige Kilometer außerhalb der Stadt.
Spontan kauften wir für Sanele und seine Familie Lebensmittel. Ihr Haus stellte sich als Stick-and-Mud-House heraus, war also nur notdürftig aus
Lehm und Holz gebaut. Unsere Lebensmittel wurden dankbar angenommen. Mit der Mutter vereinbarte ich, die Familie künftig finanziell zu
unterstützen unter der Bedingung, dass Sanele von nun an zu Hause bleiben, spielen und auch zur Schule gehen kann.
Als wir schon gehen wollten, hörte ich aus dem
Nachbarhaus ein leises Wimmern. Ich öffnete die Tür und
spähte neugierig hinein. Nachdem sich meine Augen etwas
an das Halbdunkel gewöhnt hatten, erkannte ich
schemenhaft die Umrisse einer auf dem Bauch liegenden
Person. Ich fand eine ca. 30-jährige Frau vor, vor
Schmerzen wimmernd auf dem Bauch liegend. Es stellte
sich heraus, dass sie Sarah hieß, Saneles Tante war und an
unheilbarem fortgeschrittenem Krebs litt. Als ich die
Bettdecke anhob, war ich geschockt. Eine riesige, offene,
unbehandelte Wunde im Steißbereich machte es ihr
unmöglich, sich auf den Rücken oder die Seite zu legen.
Sie hatte keinerlei Schmerzmittel, die hygienischen
Zustände waren katastrophal. Im Rahmen meiner
ärztlichen Ausbildung hatte ich auch auf der Chirurgie
gearbeitet, aber eine so fürchterliche Wunde hatte ich
noch nie gesehen. Dabei handelte es sich nicht etwa um
ein Druckgeschwür, sondern der Krebs hatte sich regelrecht
durch den Körper nach außen seinen Weg gebahnt. So lag
diese arme Frau hilflos in diesem dunklen Raum mit seinen
Lehmwänden. Ich versprach Sarah, dass ich ihr helfen
würde. Glücklicherweise konnte Nomkhosi einen privaten mobilen Hilfsdienst ausfindig machen. Privat bedeutet in diesem Fall, dass man die
Kosten aus eigener Tasche bezahlen muss – für die meisten Kranken in einem so armen Land schlicht unmöglich. Mr. Dlamini, der Leiter des
Hilfsdienstes, ist Krankenpfleger und hat in Großbritannien eine Weiterbildung in palliativer Pflege gemacht – also genau das, was Sarah jetzt so
dringend benötigte. Er ist sehr kompetent und begegnet den Patienten auf eine ganzheitliche Art und Weise. Wir vereinbarten, dass er fortan
täglich zu Sarah kommt, um die Wunde zu säubern und zu verbinden. Wir besorgten auch starke Schmerzmittel für sie. Trotz aller Bemühungen
verstarb Sarah wenige Tage später in ihrer kleinen Hütte. Ihre Schwester war bei ihr und berichtete später, dass Sarah ohne Schmerzen
„eingeschlafen sei“. Tröstlich für uns alle ist, dass sie wenigstens in ihren letzten Tagen endlich Hilfe bekam, die das Siechtum beendete und ein
halbwegs würdevolles Sterben ermöglichte. Dennoch hätte ich mir gewünscht, sie hätte diese Hilfe schon früher bekommen. Die
Beerdigungskosten werden von unserer Stiftung übernommen, und wir bezahlen den Pflegedienst für weitere Patienten wie Sarah, die sich das
ansonsten nicht leisten könnten.
Dann erreichte mich die Nachricht, dass ein an Covid-19 verstorbener alleinerziehender Vater vier Kinder als Waisen hinterlassen hat. Ihnen
werden wir regelmäßig Lebensmittel besorgen – so können sie vorerst und mit Hilfe der Nachbarn in ihrer Hütte wohnen bleiben.
Am letzten Tag in Swaziland habe ich dann noch Lebensmittel für einige Großmütter und deren Enkelkinder besorgt. Außerdem übernahm ich die
Entbindungskosten einer Schwangeren in einer Privatklinik. Die staatliche Zentralklinik in Mbabane hatte sie wegen Personalmangel wieder nach
Hause schickt – man hat keine Worte.
Dann war die Woche auch schon wieder vorüber. Nisahke kahle, Ngjyabuya - Auf Wiedersehen, ich komme wieder!
Liebe Freunde, ohne eure Hilfe wäre das alles nicht möglich. Ich danke euch ganz herzlich für eure langjährige Unterstützung. Es bleibt noch so
vieles zu tun, daher werde ich so bald wie möglich wieder in Swaziland sein.
Herzliche Grüße